“Berlin ist unheimlich experimentierfreudig”

Die Vielfalt der Berliner Gastronomie ist ein Wirtschaftsfaktor. Dr. Stefan Franzke, Chef bei Berlin Partner, vermarktet den Gastronomiestandort auch international.

TEXT: HANS GÄNG BILD: BERLIN PARTNER/FOTOSTUDIO CHARLOTTENBURG

T

ypischer für das neue Berlin könnte die Situation nicht sein als in Yorai Feinbergs jüdischem Restaurant in der Fuggerstraße. Dort hatten wir uns mit Stefan Franzke verabredet, Geschäftsführer von Berlin Partner. An allen Tischen in dem Lokal von der Größe eines typischen Berliner Altbau-Wohnzimmers sitzen erkennbar keine Touristen. Es sind Geschäftsleute, die zum Essen Coca-Cola trinken. Man hört Wortfetzen mit, ohne dass man das will:
„Accellerator, Seed Capital, Silicon Valley, Strategy…” Es wird Englisch und Hebräisch gesprochen.

Die Gastroszene ist nun mal
ein integraler Bestandteil
des kreativen Berlin.

„Ja, die Verbindungen von Berlin zu Tel Aviv und New York sind enger geworden”, bestätigt Stefan Franzke. Und dazu hat der Chef der Wirtschaftsförderung beigetragen. Mit der Start Alliance Berlin wirbt die Stadt proaktiv Startups an, die Berlin und den europäischen Markt testen wollen. Nicht nur nach Tel Aviv, New York, Shanghai und Paris wirft Franzke die Netze aus. Nach dem Brexit fischt er intensiv an der Themse. Alles nicht ohne Erfolg. 500 neue digitale Startups zählt die Stadt jährlich. In den Rankings um die erfolgreiche Einwerbung von Gründerkapital liegt Berlin in Deutschland ganz weit vorn. Mit London und Paris bildet die Stadt das Spitzentrio in Europa. Die Basis für diesen Boom sieht Franzke im Gründergeist und in der Kreativität, die sich jedem Business-Besucher der Stadt mitteilen.

„Die Gastroszene ist nun mal ein integraler Bestandteil des kreativen Berlin. Sie ist ein Fundament des Erfolgs, den wir als Stadt im Moment haben”, ist sich Franzke sicher. Der promovierte Maschinenbauer, der vor seinem Start in Berlin lange die Innovationsagentur des Bundeslandes Niedersachsen geleitet hat, nennt Zahlen.

Sie machen die Dimension der Gastronomie für Berlin deutlich. 1500 Restaurants gibt es in der Stadt. Die Fluktuation ist groß, wie überall. Vom DEHOGA, dem Verband der Gastronomen, kommt die Zahl von 2000 Neueröffnungen und Schließungen, zusammengerechnet in allen Teilbereichen des Gastgewerbes.

Das liegt, auch wie überall, oft an der mangelnden Erfahrung der Gründer und der unternehmerischen Qualifikation. Umso wichtiger ist für Franzke die Ausbildung in der Gastronomie: „Auf die rund 50000 Arbeitsplätze kommen 3500 Auszubildende.” Viele von ihnen wollen Meisterköche werden, einige – wie Berlins bekanntester Chef Tim Raue – haben es auf diese Weise nach ganzen oben geschafft.

Nicht ohne Grund hat Berlin Partner – und das ist nicht nur der Berliner Steuerzahler sondern auch rund 270 in Berlin ansässige Unternehmen – die jährliche Auszeichnung „Berliner Meisterköche“ ins Leben gerufen. Franzke: „Mit dem Projekt profiliert Berlin Partner die gehobene Restaurantkultur und die Vielfalt der Gastronomieszene der Hauptstadt als wichtigen Wirtschafts- und Imagefaktor und Aushängeschild der Stadt.“

Der dauerhafte Erfolg jedes Einzelnen der gekürten Meisterköche ist ein Mosaikstein des Bildes, das sich die Welt in der Zwischenzeit von der Stadt macht. Auf die 25 Michelin-Sterne in der Stadt braucht Franzke in seinen Gesprächen mit potentiellen Investoren gar nicht mehr hinzuweisen. Viel lieber spricht er über die quicklebendige Szene der Food-Startups, die hier in Berlin neue Dinge ausprobieren – vom Craft Beer bis zum digitalen Cityguide des israelischen Startups Bitemojo. „Berlin ist unheimlich experimentierfreudig”, sagt Stefan Franzke und zählt dann gleich noch ein halbes Dutzend neuer Firmennamen auf, die ich vorher noch nicht gehört hatte.

Wie bei der Mode und der künstlerischen Kreativszene entstanden eigene Formate des Austauschs. Berlin Food Week, Eat Berlin, Stadt Land Food und der Startup Food Market locken direkt auch Unternehmen der Branche als Investoren nach Berlin. „Auch dabei sehen wir, dass große Unternehmen wie METRO wegen der Innovation und Kreativität hier aktiv werden.”

Bei der Vermarktung Berlins in Deutschland und auch im Ausland spielt das neue Ecosystem darum eine immer größere Rolle. So macht Berlin Partner im Rahmen der beBerlin Hauptstadtkampagne die kulturelle und kulinarische Vielfalt und Offenheit Berlins auch international erlebbar. Egal ob Stuttgart, München, London, Tel Aviv, Brüssel oder Los Angeles: die Hauptstadtvermarkter haben auch immer das kulinarische Berlin im Gepäck. Die Tourismusförderer von visitBerlin bringen Kongressbesucher auch in die Hotspots der Foodszene. „Die 31 Millionen Übernachtungen in Berlin, übrigens doppelt so viele wie 2006, wirken wieder positiv auf die Zuwanderung von internationalen Gastronomiegründern” benennt Franzke eine wichtige wirtschaftliche Wechselwirkung.

Er selbst zieht mit vielen Berlin-Gästen durch die Gastronomie, die auch ihn immer wieder überrascht. Seien es Berliner Unternehmer, die im organisierten Motorradkonvoi „Delicious Riding“ in den Gastro-Szenevierteln einfallen, die neugierigen Digital-Chefs der Dax-Unternehmen, neidlos staunende Wirtschaftsförderer aus den anderen Bundesländern oder eine israelische Pressedelegation – dem obersten Wirtschaftsförderer der Stadt teilen Besucher der Stadt ihre Begeisterung häufig ganz persönlich mit. „Also ich muss eines ehrlich zugeben”, bekennt Stefan Franzke dann zum Schluss unseres Gesprächs. „Wie unglaublich wichtig die Gastronomie für die Bindung der Menschen an Berlin ist, das war mir am Anfang so nicht richtig
bewusst.”